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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 04.07.2006
Aktenzeichen: 5 Sa 119/06
Rechtsgebiete: SGB V, SGB IV, BGB


Vorschriften:

SGB V § 255
SGB V § 256
SGB IV § 28 g
BGB § 818 Abs. 3
1. Der Arbeitgeber, als Schuldner/ Träger der Betriebsrente, hat als so genannte Zahlstelle auch rückständige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung von den laufenden Betriebsrenten einzubehalten und an die Krankenkasse zu zahlen, §§ 256 Abs. 2 S. 1; 255 Abs. 2 S. 1 SGB V. Der Arbeitgeber kommt hierdurch seiner öffentlich-rechtlichen Verpflichtung als Zahlstelle nach. Er wird dadurch nicht zum Beitragsschuldner.

2. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber den rechtzeitigen Einbehalt schuldhaft versäumt hat. Er hat lediglich zu beachten, dass der Betragsschuldner/ Betriebsrentner durch den nachträglichen Einbehalt nicht oder nicht stärker sozialhilfebedürftig wird, § 255 Abs. 2 S. 1 SGB V i. V. m. § 51 Abs. 2 SGB I.

3. Der nachträgliche Einbehalt rückständiger Sozialversicherungsbeiträge nach §§ 255 Abs. 2 S. 1; 256 Abs. 2 S. 1 SGB V ist kein bereicherungsrechtlicher Anspruch des Arbeitgebers nach §§ 812 ff. BGB. Der Arbeitgeber kann sich nicht auf die Einrede der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB berufen.


Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein

Urteil

Im Namen des Volkes

Aktenzeichen: 5 Sa 119/06

Verkündet am 04.07.2006

In dem Rechtsstreit

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 04.07.2006 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und die ehrenamtliche Richterin ... als Beisitzerin und den ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Lübeck vom 24. Januar 2006, Az.: 3 Ca 351/05, abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt der Kläger.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die ungekürzte Auszahlung einer Betriebsrente. Streitig ist dabei, ob die Beklage wegen nachentrichteter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung Abzüge vom laufenden betrieblichen Ruhegeld des Klägers vornehmen darf.

Der am 16.02.1929 geborene Kläger war bei Rechtsvorgängerin der Beklagten, dem I. L. P. G. N. GmbH, als Prokurist beschäftigt. Seit dem 01.03.1994 befindet er sich im Ruhestand. Am 16.12.1991 hatte der Kläger als Teil seines Arbeitsvertrages vom 01.10.1991 einen Pensionsvertrag abgeschlossen, in den die Beklagte mit Wirkung ab dem 01.10.1996 mit allen Rechten und Pflichten eintreten war. Danach hat der Kläger gegenüber der Beklagten Anspruch auf ein lebenslängliches betriebliches Ruhegeld von monatlich € 1.533,88 (= DM 3.000,00) brutto.

Mit Schreiben vom 21.09.2000 forderte die D. (D.) die Beklagte auf, ab dem 01.06.2000 auf die Betriebsrente entfallende Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge abzuführen. Nachdem die Beklagte dies zunächst abgelehnt hatte, entrichtete sie dann im November 2004 die von der D. geforderten rückständigen Beiträge für den Zeitraum vom 01.06.2000 bis zum 30.06.2003 in Höhe von insgesamt € 3.933,18 nach. Hiervon unterrichtete sie den Kläger mit Schreiben vom 11.11.2004 und teilte ihm mit, dass sie bis zur Begleichung des Betrages ab November 2004 monatlich € 500,00 und zuletzt € 433,18 von der laufenden Betriebsrente einbehalte. Entsprechend der Ankündigung verfuhr die Beklagte.

Der Kläger hat vorgetragen,

die Zahlstellen der Versorgungsbezüge hätten nach § 256 Abs. 1 S. 1 SGB V die Beiträge aus den Versorgungsbezügen einzubehalten und an die Krankenkassen zu zahlen. Die Beiträge aus den Versorgungsbezügen habe das versicherungspflichtige Mitglied alleine zu tragen, § 250 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Für den Fall der Beitragsnachentrichtung durch den ehemaligen Arbeitgeber sehe das Gesetz keinen gesetzlichen Forderungsübergang vor. In Betracht komme nur ein Erstattungsanspruch des ehemaligen Arbeitgebers in den Grenzen des analog anzuwendenden § 28 g SGB IV. Diese Vorschrift konkretisiere den nach dem SGB V vorgesehenen Ruhegeldseinbehalt in Höhe der abzuführenden Beiträge. Ohne die Regelung des § 28 g SGB IV bliebe im Dreieck der Leistungsbeziehungen unausgesprochen, dass sich der Rentner bzw. Ruhegeldempfänger den Abzug endgültig gefallen lassen müsse. Im Falle der Beitragsnachentrichtung von Ruhegeld verweise § 256 Abs. 2 S. 1 SGB V auf den entsprechend anwendbaren § 255 Abs. 2 S. 1 SGB V. Gleichwohl sei dies keine Anspruchsgrundlage für den Arbeitgeber. Sinn der Regelung sei nicht, Versäumnisse des Trägers der Betriebsrente zu befördern und ihm einen Anspruch gegen den Empfänger der Betriebsrente zu gewähren. Nach dem analog heranzuziehenden § 28 g S. 3 SGB IV dürfe ein unterbliebener Beitragsabzug nur bei den nächsten drei Betriebsrentenzahlungen nachgeholt werden. Dieser Zeitraum sei aber unstreitig im November 2004 bereits verstrichen. Ungeachtet dessen hat der Kläger die Einrede der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB erhoben. Monatliche Überzahlungen von nicht mehr als 10 % der an sich zu gewährenden Bezüge seien ohne weitere Darlegung so anzusehen, dass sie zur Verbesserung der allgemeinen Lebenshaltung verwendet würden. Vorliegend hätten die monatlichen Beitragzahlungen ca. 7 % der Ruhegeldzahlungen entsprochen. Im Übrigen habe er im Jahre 2003 eine zweiwöchige Flugreise nach Namibia und Südafrika unternommen, deren Kosten den Klagbetrag bei weitem überschritten hätten. Der Kläger hat des Weiteren die Verjährungseinrede erhoben.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 3.933,18, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf je € 500,00 ab dem 01.12.2004 bzw. dem jeweils nächsten Monatsersten sowie auf den letzten Einbehalt von € 433,18 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen,

nach §§ 250, 252 SGB V habe der Kläger als Versorgungsempfänger die Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeiträge zu tragen. Beitragsschuldner sei mithin der Kläger. Nach § 256 SGB V erfolge die Zahlung durch Einbehalt der auszuzahlenden Versorgungsbezüge. Für den Fall der Versäumung der Einbehaltung erkläre § 256 Abs. 2 S. 1 SGB V die Regelung des § 255 Abs. 2 S. 1 SGB V für entsprechend anwendbar. Daher sei derjenige, der die Versorgungsbezüge zahle, berechtigt, die rückständigen Beiträge aus der weiterhin zu zahlenden Rente einzubehalten. § 289 g SGB IV sei im Falle der Beitragszahlung aus Versorgungsbezügen nicht anwendbar. Diese Vorschrift beziehe sich ausschließlich auf die Beitragszahlung aus dem Arbeitsentgelt, denn nur § 253 SGB V enthalte einen Verweis auf § 28 g SGB IV. Ein solcher Verweis fehle aber bei § 256 SGB V. Es liege auch keine Regelungslücke vor. Die Systematik des fünften Titels des ersten Abschnitts des achten Kapitels des SGB V lasse deutlich erkennen, dass einzig die Beitragszahlung aus dem Arbeitsentgelt als Sonderfall nach den §§ 28 d bis 28 n und 28 r SGB IV erfolgen solle. Da die Beitragszahlungen des Klägers öffentlich-rechtlicher Natur seien, finde das Bereicherungsrecht vorliegend keine Anwendung.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils einschließlich der Inbezugnahmen verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Mit Urteil vom 24.01.2006 hat das Arbeitsgericht der Zahlungsklage stattgegeben. Die Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen sei weder in § 28 SGB IV noch in §§ 255 und 256 SGB V geregelt. Letztere beträfen nur Beitragszahlungen aus einer Rente, nicht hingegen aus einer Betriebsrente. Adressaten der §§ 255 f. SGB V seien auch nicht die Arbeitgeber als Schuldner der Betriebsrente, sondern die Träger der Rentenversicherung. Mithin liege für den Fall nachzuentrichtender Sozialversicherungsbeiträge aus Betriebsrenten eine ungewollte und planwidrige Regelungslücke vor. Diese Gesetzeslücke sei aufgrund der Ähnlichkeit der Fallkonstellation durch analoge Anwendung des § 28 g SGB IV zu schließen. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen dieses ihr am 20.02.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20.03.2006 beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Berufung eingelegt und diese am 05.04.2006 begründet.

Die Beklagte wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Sachvortrag. Das Arbeitsgericht sei vorliegend unzutreffend von einer Regelungslücke im Falle der Nachentrichtung von Beitragszahlungen aus Betriebsrenten ausgegangen. Rechtsirrig habe es die These vertreten, dass Adressaten der Vorschriften der §§ 255, 256 SGB V nur die Träger der Rentenversicherungsträger seien. Das öffentlich-sozialversicherungsrechtliche Versicherungsverhältnis zwischen dem Arbeitgeber, der die betrieblichen Versorgungsbezüge leistet und damit automatisch die Funktion einer Zahlstelle erhalte, und der zuständigen Krankenkasse (Außenverhältnis) sowie Arbeitgeber und Empfänger seiner betrieblichen Versorgungsbezüge (Innenverhältnis) sei in § 256 SGB V geregelt. Im Außenverhältnis sei der Arbeitgeber zwar nicht Schuldner der Beiträge, aber Zahlstelle derselben. Sie, die Beklagte, habe die Beiträge im strittigen Zeitraum nicht von der klägerischen Betriebsrente einbehalten und an die Krankenkasse gezahlt, weil sie den Kläger irrtümlich als so genannten Selbstzahler geführt habe. Unterblieben die Einbehalte und Abführungen der Sozialversicherungsbeiträge sei die Zahlstelle verpflichtet, die rückständigen Beiträge aus den laufend gezahlten Versorgungsbezügen im Rahmen des § 255 Abs. 2 S. 1 Hbs. 2 SGB V nachzuholen. Diese gesetzliche Pflicht folge aus der im § 256 Abs. 2 S. 1 SGB V angeordneten entsprechenden Geltung des § 255 Abs. 2 S. 1 SGB V. Das gelte unabhängig davon, ob der versäumte Beitragseinbehalt auf ein Verschulden der Zahlstelle oder ein Fehlverhalten der Kasse zurückzuführen sei. Im Gegensatz zu dem vorliegend nicht anwendbaren § 28 g SGB IV enthielten die §§ 256, 255 SGB V keine Zeitgrenze, in der ein nachträglicher Beitragseinbehalt von Beitragsrückständen erfolgen müsse. Dies sei auch sachgerecht. Anders als bei der Abführung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags wickle er bei der Beitragsabführung aus Betriebsrenten eine fremde Verpflichtung ab. Der Arbeitgeber sei in seiner Funktion als Zahlstelle ein schlichtes Hilfsorgan der gesetzlichen Krankenkassen. Die Gesetzeslage sei eindeutig. Eine Regelungslücke sei nicht vorhanden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 24.01.2006, Az.: 3 Ca 351/05, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Der Umstand, dass gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 SGB V i. V. m. § 229 Abs. 1 Nr. 5 SGB V Renten der betrieblichen Altersversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung als der Rente vergleichbare Einnahmen gelten, diene allein der Beitragsbemessung der Krankenversicherung. Die Regelung fingiere nicht, dass der frühere Arbeitgeber Träger einer gesetzlichen Rentenversicherung sei oder dass die betriebliche Altersversorgung in allen Teilen wie eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu behandeln sei. Rechtstechnisch sei es inkorrekt, mit der Beklagten von einer Aufrechnung der Ansprüche der D. zu sprechen. Ein gesetzlicher Forderungsübergang liege nicht vor. Zahle der Arbeitgeber versehentlich trotz ordnungsgemäßer Beitragsabführung zuviel Betriebsrente, komme für ihn ein Anspruch auf Rückzahlung lediglich über § 812 BGB in Betracht. Beruhe aber die Überzahlung darauf, dass er den Beitragsabzug unterlassen habe, stehe ihm kein Erstattungsanspruch als Zahlungsanspruch zu. Der Arbeitgeber dürfe dann nur auf die Betriebsrente Zugriff nehmen. Die §§ 255 Abs. 2; 256 Abs. 2 SGB V begründeten keinen Anspruch. Ungeachtet dessen trägt er weiter vor, dass er zwar eine Zeitlang zuviel Rente erhalten habe, jedoch zu keiner Zeit Beitragsbefreiung im Übermaß. Er habe zwar zunächst zuviel Betriebsrente erhalten, sei durch die Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge durch die Beklagten nicht von seiner Betragsschuld gegenüber der D. befreit worden. Erst im Nachhinein habe die Beklagte die Beiträge nachentrichtet. Kehrseite der im Nachhinein eingetretenen Überzahlung sei deren Rückabwicklung. Die Bereicherung werde durch die Leistungskondiktion nach Maßgabe der §§ 812 ff. BGB abgeschöpft. Durch die nachträgliche Zahlung der Beiträge sei das Valutaverhältnis zwischen ihm und der Kasse beglichen worden. Gleichwohl sei sein Vermögen hierdurch nicht vermehrt worden, weil seine Beitragsschuld erlosch, vielmehr sei seine Betriebsrente von nun an endgültig überzahlt. Wegen der Rentenüberzahlung habe der Beklagten zwar ein mit der Betriebsrentenverbindlichkeit aufrechenbarer Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zugestanden, indessen sei er - wie erstinstanzlich dargelegt - inzwischen entreichert, § 818 Abs. 3 BGB.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 04.07.2006 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist dem Beschwerdewert nach statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 64 Abs. 2 lit. b; 66 Abs. 1 ArbGG; § 519 ZPO.

Die Berufung ist auch begründet.

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von € 3.933,18. Die Beklagte hat den Klagbetrag, den sie zuvor an die D. auf rückständige Sozialversicherungsbeiträge auf die Betriebsrente des Klägers gezahlt hatte, zu Recht in monatlichen Raten von € 500,00 bzw. einer letzten Rate von 433,18 von den laufenden monatlichen Ruhegeldzahlungen im Zeitraum von November 2004 bis Juni 2005 einbehalten.

1. Die von der Beklagten zu zahlende Betriebsrente unterlag und unterliegt der Betragspflicht zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung. Gemäß § 229 Abs. 1 Nr. 5 SGB V handelt es sich bei den Renten aus betrieblicher Altersversorgung um beitragspflichtige Versorgungsbezüge i. S. v. §§ 220 ff. SGB V. Dies ist zwischen den Parteien auch nicht streitig.

2. Die Beklagte war als so genannte Zahlstelle verpflichtet, seit dem 01.06.2000 von den Betriebsrenten des Klägers die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nach §§ 256 Abs. 1 SGB V einzubehalten und an die D. abzuführen. Da sie dieser verpflichtung zunächst nicht nachgekommen war, musste sie im Nachhinein die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge für die im Zeitraum vom 01.06.2000 bis 30.06.2003 gezahlten Betriebsrenten von den laufenden, d.h. aktuellen Betriebsrenten des Klägers eingehalten, §§ 256 Abs. 2 S. 1; 255 Abs. 2 S. 1 SGB V (vgl. LAG Niedersachsen, Urt. v. 13.01.2006 - 10 Sa 1115/05 -, zit n. Juris).

a) Nach § 252 S. 1 SGB V hat zwar grundsätzlich, d. h. soweit nicht anders geregelt, der Beitragsschuldner die Beiträge an die jeweilige Krankenkasse zu zahlen. Hiervon gibt es vier Ausnahmen, u. a. für Beitragszahlungen aus Arbeitsentgelt, § 253 SGB V, der auf die §§ 28 d bis 28 n und 28 r SGB IV verweist. Für Beitragszahlungen aus Versorgungsbezügen (Betriebsrenten) gilt demgegenüber § 256 Abs. 1 SGB V als Ausnahmevorschrift zu § 252 SGB V. Nach dieser Vorschrift hat die so genannte Zahlstelle der Versorgungsbezüge für Versicherungspflichtige, die eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, die Sozialversicherungsbeiträge aus Versorgungsbezügen einzubehalten und an die zuständige Kasse abzuführen. Die zu zahlenden Beiträge werden fällig mit der Auszahlung der Versorgungsbezüge, von denen sie einzubehalten sind, § 256 Abs. 1 S. 2 SGB V. Vorliegend werden die Versorgungsbezüge/Betriebsrenten von der Beklagten gezahlt, diese ist mithin die Zahlstelle i. S. v. § 256 Abs. 1 S. 1 SGB V. Die so genannte Zahlstelle wird hingegen nicht zum Beitragsschuldner (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 26.03.2004 - L 4 KR 4285/02 -, zit. n. Juris). Folgerichtig ist der Einbehalt der Sozialversicherungsbeiträge von der dem Arbeitnehmer geschuldeten Betriebsrente keine Aufrechnung im Rechtssinne, sondern lediglich schlichte Anrechnung. Zutreffend hat der Kläger insoweit darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber als Schuldner der Betriebsrente ein Leistungs-Kürzungsrecht in Höhe der Sozialversicherungsbeiträge aufgrund öffentlichen Rechts hat, weil er gesetzlich verpflichtet ist, die einbehaltenen Beiträge an die Krankenkasse abzuführen und damit die Beitragsschuld seines Betriebsrentners gegenüber der Krankenkasse zu erfüllen.

b) Unstreitig hat die Beklagte für die Zeit vom 01.06.2000 bis zum 30.06.2004 die auf die laufend, d. h. jeweils monatlich, zu zahlenden Betriebsrenten des Klägers anfallenden Sozialversicherungsbeiträge nicht einbehalten und an die D. ausgezahlt. Sie ist damit ihrer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung als Zahlstelle zunächst nicht nachgekommen. Erst im November 2004 hat sie die der Höhe nach unstreitigen Sozialversicherungsbeiträge für den strittigen Zeitraum in einer Summe nachentrichtet.

3. Die Beklagte war im Nachhinein berechtigt, die nachträglich für die vom 01.06.2000 bis 30.06.2004 an die D. gezahlten Sozialversicherungsbeiträge ratenweise von den laufenden Betriebsrenten ab November 2004 einzubehalten.

a) Die Verfahrensweise für die Zahlung rückständiger Beiträge aus den Versorgungsbezügen ergibt sich aus § 256 Abs. 2 S. 1 SGB V i. V. m. § 255 Abs. 2 S. 1 SGB V. Danach hat der Träger der Betriebsrenten (hier: Beklagte) von den laufenden bzw. künftigen Versorgungsbezügen nicht nur die aktuell fälligen Sozialversicherungsbeiträge einzubehalten, sondern auch rückständige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, die sie an die Krankenkasse nachträglich abgeführt hat (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 26.03.2004 - L 4 KR 4285/02 -, a.a.O.). Dies ergibt sich aus § 256 Abs. 2 S. 1 SGB V, der auf § 255 Abs. 2 S. 1 SGB V verweist. Die Gesetzeslage ist eindeutig. Eine Regelungslücke liegt mithin nicht vor. Ein analoger Rückgriff auf § 28 g SGB IV scheidet demnach aus. Auch im Hinblick auf die Zahlung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge fungiert der Träger der Versorgungsbezüge nicht als Beitragsschuldner, sondern nur als reine Zahlstelle. Auch im Falle der Zahlung rückständiger Beiträge findet insoweit lediglich eine Anrechnung und keine Aufrechnung mit den Betriebsrentenansprüchen des Arbeitnehmers statt. Auch in diesem Falle erfüllt der Träger der Versorgungsansprüche als Zahlstelle eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung gegenüber der Krankenkasse. Er muss die rückständigen Beiträge selbst dann einbehalten und abführen, wenn er selbst den Einbehalt schuldhaft versäumt hat. Er hat lediglich zu beachten, dass der Beitragsschuldner, d. h. der Empfänger der Betriebsrente, durch den nachträglichen Einbehalt nicht oder nicht stärker sozialhilfebedürftig wird. Dies ergibt sich eindeutig aus § 255 Abs. 2 S. 1 letzter Halbs. SGB V, der auf die Vorschrift des § 51 Abs. 2 SGB I verweist.

b) Hieran gemessen hat die Beklagte die rückständigen Beiträge zu Recht von den laufenden Betriebsrenten ab November 2004 einbehalten. Bezogen auf den strittigen Zeitraum von Juni 2000 bis Juni 2004 hat die Beklagte es unstreitig versäumt, die jeweils fälligen Sozialversicherungsbeiträge von der Betriebsrente des Klägers einzubehalten und an die D. abzuführen. Der Kläger hat vielmehr in diesem Zeitraum die ungekürzte Bruttoversorgungsrente erhalten. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte ihrer Verpflichtung als Zahlstelle zunächst schuldhaft nicht nachgekommen ist. Sie hat sich unbestritten darauf berufen, dass sie den Kläger zunächst irrtümlich als so genannten Selbstzahler geführt habe. Im Gegensatz zu § 28 g S. 3 letzter Halbs. SGB IV ist jedoch § 255 Abs. 2 S. 1 SGB V i. V. m. § 256 Abs. 2 S. 1 SGB V verschuldensunabhängig ausgestaltet. Es braucht mithin nicht geklärt zu werden, ob die Beklagte diesen Irrtum letztlich zu vertreten hat. Die Beklagte war mithin aufgrund der öffentlich-rechtlichen Gesetzeslage als Zahlstelle nicht nur verpflichtet, die rückständigen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung an die D. nachträglich zu zahlen, sondern auch berechtigt, in entsprechender Höhe Beträge von den laufenden Versorgungsleistungen des Klägers in den Grenzen des § 51 Abs. 2 SGB I einzubehalten.

4. Anspruchsgrundlage für den hier strittigen ratenweisen Einbehalt der Sozialversicherungsbeiträge waren die öffentlich-rechtlichen Vorschriften der §§ 256, 255 SGB V und nicht die zivilrechtlichen Vorschriften über ungerechtfertigte Bereicherung nach §§ 812 ff. BGB.

a) Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte durch die nach § 255 Abs. 2 S. 1 SGB V i. V. m. § 256 Abs. 2 S. 1 SGB V öffentlich-rechtlich vorgegebene Verfahrensweise nicht mit einem bereicherungsrechtlichen Gegenanspruch gegenüber den aktuellen Versorgungsansprüchen des Klägers die Aufrechnung erklärt. Die Beklagte hat die rückständigen Beiträge lediglich auf die laufenden Betriebsrenten angerechnet. Die Beklagte hat aufgrund einer Überzahlung mithin nicht als Gläubigerin gemäß §§ 812 Abs. 1; 387 ff. BGB mit einem bereicherungsrechtlichen Erstattungsanspruch gegenüber den laufenden Rentenansprüchen des Klägers aufgerechnet, sondern als Zahlstelle nach § 255 Abs. 2 S. 1 SGB V i. V. m. § 256 Abs. 2 S. 1 SGB V die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge auf die laufenden Betriebsrenten des Klägers angerechnet. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Beklagte die rückständigen Beiträge bereits zuvor in einer Summe an die D. gezahlt hatte. Durch die nachträgliche Anrechnung, d. h. den Einbehalt, der zuvor an die Krankenkasse gezahlten rückständigen Beiträge kam die Beklagte ihrer öffentlichrechtlichen Verpflichtung als Zahlstelle gegenüber der Krankenkasse nach. Auf öffentlich-rechtliche Ansprüche bzw. Einbehaltungs- und Weiterleitungsrechte findet das Bereicherungsrecht nach §§ 812 ff. BGB keine Anwendung (vgl. Palandt-Sprau, BGB, 65. Aufl., Rn. 20 zu Einf. Vor § 812 BGB). Der Kläger kann sich vorliegend mithin auch nicht auf den Einwand der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB berufen.

b) Der vorliegende Fall unterscheidet sich mithin maßgeblich von demjenigen, der dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 01.02.2006 - 5 AZR 395/05 - (zit. n. Juris) zugrunde lag. In dem dortigen Rechtsstreit hatte der Arbeitgeber zur umlagenfinanzierten Zusatzversorgung vom laufenden Arbeitsentgelt der dortigen Klägerin Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Im Nachhinein entstand Unsicherheit, ob aufgrund einer rückwirkenden Umstellung des Betriebsrentensystems von der abschnittsgedeckten Umlagenfinanzierung auf ein Kapitaldeckungssystem für den Rückwirkungszeitraum Beitragsbefreiung gegeben war. Entsprechend einem eingeholten Gutachten erstattete der Arbeitgeber die zunächst abgeführten Beiträge. Nachdem die Sozialversicherungsträger ihrerseits eine Erstattung gegenüber dem Arbeitgeber zumindest teilweise abgelehnt hatten, behielt der dortige Arbeitgeber vom laufenden Arbeitsentgelt die erstatteten Beiträge wieder ein. Im dortigen Fall erfolgte die Beitragserstattung durch den Arbeitgeber ohne Rechtsgrund. Den rechtsgrundlos erhaltenen (erstatteten) Beitrag musste die Klägerin mithin nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung nach § 812 Abs. 1 BGB wieder herausgeben.

Der vorliegende Fall unterscheidet sich hiervon maßgeblich dadurch, dass der Arbeitgeber in dem dortigen Fall (BAG, Urt. v. 01.02.2006 - 5 AZR 395/05 -) die konkret einbehaltene Beiträge, die er der Arbeitnehmerin rechtsgrundlos erstattet hatte, gerade nicht als Zahlstelle an die Krankenkasse abgeführt hatte.

5. Die strittigen Beiträge waren auch noch nicht verjährt. Gemäß § 25 Abs. 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Sozialversicherungsbeiträge nach vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Die Sozialversicherungsbeiträge für das zweite Halbjahr 2000 (insgesamt ca. € 640,00) verjährten mithin erst Ende 2004. Für rückständige Beiträge betreffend den Zeitraum ab Juni 2000 behielt die Beklagte als Zahlstelle von den laufenden Betriebsrenten des Klägers im November und Dezember 2004 jeweils € 500,00 ein. Die Vierjahresfrist des § 25 Abs. 1 SGB IV ist mithin auch für die Sozialversicherungsbeiträge betreffend das Kalenderjahr 2000 gewahrt.

6. Nach alledem war die Klage unbegründet und somit der Berufung der Beklagten stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG.

Die Revision wurde wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung zugelassen, § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG.



Ende der Entscheidung

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